Friedhofskultur ja – aber wie?

Alte Gräber können Geschichten erzählen. Da hat zum Beispiel in einem Grab ein „Realitätenbesitzer und Viehhändler“ seine letzte Ruhe gefunden, im anderen ein „Hausbesitzer“ und daneben seine „Hausbesitzers-Gattin“. Gelegentlich ist auch eine „ehrengeachtete Jungfrau“ zu finden – in hohem Alter verstorben. Manche Grabstellen können Familiengeschichte erklären. Die hoch aufragende Form ganz alter Grabsteine verleiht dem noch eine besondere Würde. Ab den Sechziger Jahren sind die Steine immer niedriger geworden, bis hin zum Querformat, meistens auf Hochglanz poliert und gerne aus rabenschwarzem Stein. Die Grabinschriften beschränken sich meistens auf den Namen und zwei Jahreszahlen. Nicht lange danach haben sich die kompletten Friedhöfe verändert. Stehen die Steine in alten Anlagen noch im Reih und Glied, so sind sie bei den neueren in kleine Gruppen aufgelockert. Der einheitliche Rieselboden ist verschwunden, die Friedhöfe sind ein bisschen zu Landschaftsparks geworden. Weitere, zunächst schleichende, dafür umso stärkere Veränderungen haben sich durch den zunehmenden Wechsel von der Sarg- zur Urnenbestattung ergeben. Die Grabstellen werden kleiner, die Lücken dazwischen dafür größer – und auch zahlreich.
Erst beim bewussten Rückblick erkennen wir, wie viel sich geändert hat.

Die Dinge werden sich auch weiterhin ändern: Der Familienverband aus mehreren Generationen hat sich zur Kleinfamilie aus Eltern und Kind(ern) verringert und auch diese ist oft „Patchwork“. Die religiösen wie auch die sozialen Bindungen sind lockerer geworden. Die Kinder und nächsten Verwandte wohnen oft weit entfernt. Viele Hinterbliebene können es nicht mehr leisten, die Gräber zu pflegen. Das bisher übliche Familiengrab wird nicht mehr der Regelfall sein. Darauf hat die Gemeinde schon seit längerem reagiert. Als extremer Unterschied zum Familiengrab gibt es im Schlossberger Friedhof bereits seit einigen Jahren ein Feld mit anonymen Gräbern. Diese Bestattungsform kann nicht jedem gefallen, aber auch sie erfüllt die Bedürfnisse von Bürgern.
Als Mittelweg will die Gemeinde nun die Anlage kleiner Gräber unter Bäumen vorantreiben. Dafür liegen bereits zahlreiche Anfragen vor; diese sollen nicht anonym sein. Nach Besichtigung vorhandener Friedhöfe und nach Rücksprache mit den Pfarrern, den Herrn Orsetti und Seibel soll nun ein Gräberhain geplant werden. Dafür bietet der Gemeindefriedhof in Stephanskirchen mit seinen Bäumen und Baumgruppen eine gute Grundlage. Wichtige Details wie z.B. Namenstafeln wollen noch gründlich überlegt werden. Scheinbar geht damit ein Stück alter Friedhofskultur verloren. Allerdings werden wir in alten Friedhöfen auch feststellen, dass dort zwar Kommerzienräte und andere Nobilitäten zu finden sind, jedoch kein Bauernknecht oder anderer Dienstbote. Der Tod war früher auch eine Sache von Stand und Reichtum. So gesehen ist der beklagte Niedergang nichts anderes als eine Demokratisierung. Der Tod macht uns jetzt auch sichtbar gleich. Ludwig Demberger